Soziale Demokratie statt Rechtsradikalismus – eine Wahlnachlese zur Bundestagswahl 2017

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Bundestag

Nach der Bundestagswahl 2017 ist nichts mehr wie zuvor:

  • CDU/CSU und SPD haben herbe Verluste hinnehmen müssen
  • Mit der AfD hat sich eine rechtsextreme Partei etabliert
  • Die SPD wechselt in die Opposition

Die Auswirkungen werden auch in der Region zu spüren sein. In der SPD Haimhausen haben wir uns das Wahlergebnis einmal genauer angeschaut. Und wir wollen Konsequenzen ziehen.

Eine Klatsche für die großen Volksparteien

Die schlimmsten Verluste hat die CDU/CSU eingefahren. Dabei gilt: in Bayern war es für die Union besonders schlimm, im Kreis Dachau noch schlimmer. Aber auch die SPD hat verloren:

  • im Bund 5,2%
  • in Bayern 4,7%
  • im Kreis DAH nur 3,6%

Die CDU/CSU verliert

  • im Bund 8,6%
  • in Bayern 10,5%
  • im Kreis DAH 12,1%

Der Blick auf die Ergebnisse der CDU/CSU können uns aber nicht trösten: Die SPD ist nicht nur auf Bundesebene auf einen Stimmenanteil von knapp über 20 Prozent abgerutscht, je weiter wir von Berlin in den Süden kommen, desto schwächer steht die SPD heute da:

Stimmenanteile der SPD

  • Bund 20,5%
  • Bayern 15,3%
  • Oberbayern 13,6%
  • Kreis DAH 13,1%
  • Haimhausen 12,4%

Auch wenn nicht die SPD, sondern die CDU/CSU die meisten Wähler an die AfD verloren hat, so ist doch auffällig, dass in allen Regionen, in denen die SPD besonders schwach ist, die AfD besonders stark ist:

Die SPD ist die die einzige wirklich breit aufgestellte Volkspartei

Betrachtet man sich die Wählerstruktur der Parteien, so kann man feststellen, dass keine Partei breiter aufgestellt ist, als die SPD. Die folgenden Zahlen für Bayern gelten weitgehend auch für Deutschland gesamt:

Die SPD ist relativ stark vertreten bei den Wählerinnen und Wählern, die 45 Jahre oder älter sind. Aber die SPD ist auch überraschend stark bei den ganz Jungen. Bei der CSU hingegen ist die Alterszusammensetzung dramatisch: je älter, desto CSU. Die Grünen und die Linken sind relativ junge Parteien. Bei FDP und AfD gibt es keine klaren Tendenzen in Bezug auf die Altersstruktur.

Ein Blick auf die Wahlergebnisse nach Gemeindegröße zeigt etwas überraschendes: die SPD ist nicht die typische Großstadtpartei. Grüne, FDP und Linke finden ihr Potential hingegen in Bayern überwiegend in den großen Städten. Die CSU hat ihren Schwerpunkt in den Dörfern und kleinen Gemeinden.

Ein Blick auf die Sozialstruktur der Wähler zeigt: keine Partei ist so beit über alle soziale Gruppen aufgestellt, wie die SPD. Nur bei den Selbstständigen ist die SPD schwach. Alle anderen Parteien zeigen in Bayern klare Schwerpunkte:

  • Die CDU/CSU ist die Volkspartei für gehobene Schichten und Rentner
  • Die Grünen sind die Partei der Beamten und Angestellten
  • Die FDP ist die Partei der Selbstständigen
  • Die Linken und die AfD sind die Parteien von Arbeitern und Arbeitslosen

Betrachtet man die Wählerwanderung nach Berufsgruppen, so sieht man, dass die SPD vor allem bei den Beamten verloren hat. Die CSU verliert vor allem Selbstständige an die FDP und die Wähler in der Arbeiterschaft an die AfD. Die Linken verlieren bei den Arbeitslosen und die AfD gewinnt besonders stark bei Arbeitern und Arbeitslosen:

Wandertag der Wähler

Die SPD verliert in alle Richtungen außer an CDU/CSU. An AfD, FDP, Linke und Grüne werden jeweils zwischen 380.000 und 470.000 Stimmen abgegeben. Zwischen der Union und der SPD gibt es kaum Verschiebungen. Logisch: wer von der Großen Koalition enttäuscht war wechselt nicht zum anderen Koalitionspartner.

Die CDU/CSU verliert vor allem an FDP und AfD:

Die Linke zieht enttäuschte Wähler bei SPD und Grünen, verliert aber stark an die AfD. Im Saldo bleibt ein überschaubarer Stimmengewinn, aber eine wesentliche Veränderung in der Struktur der Wählerschaft: während einkommensschwache Wählergruppen (Arbeitslose und Arbeiter) stark zur AfD wechseln, gewinnt die Linke im städtischen Bildungsbürgertum. Ob es ihr passt oder nicht: die Linke ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Nichtwähler zieht sie kaum mehr. Ihre Funktion als Protestpartei hat sie verloren.

Die AfD hat von überall Stimmen übernommen: Protestwähler, die in der Vergangenheit gar nicht zur Wahl gegangen sind, unzufriedene bisherige Wähler von CDU/CSU und SPD und vor allem sozial benachteiligte Wählergruppierungen der Linken.

Der Wähler ist treulos – Wechselwähler auf dem Vormarsch

Nur gut jeder fünfte Wähler bei Union und SPD wählt seine Partei „aus Tradition“, ist also langfristig überzeugte Anhänger seiner Partei. Bei den Grünen sind das immerhin noch 18 von 100. Alle anderen Parteien verfügen kaum über Stammwähler. Bei der AfD sagen nur fünf Prozent, sie seien bei ihrer Wahlentscheidung fest an diese Partei gebunden. Dies bedeutet erst einmal, dass man die Wähler der AfD nicht schon verloren geben muss: man kann – und muss – sie zurückgewinnen!

Was man an der folgenden Grafik auch ablesen kann ist, dass der Spitzenkandidat Martin Schulz der SPD kaum Stimmen gebracht hat. Ganz anders ist das bei der Kanzlerin und FDP-Chef Lindner. Jeder vierte FDP-Wähler hat nach Selbsteinschätzung wegen Lindner die Liberalen gewählt, rund 38 Prozent geben die Kanzlerin als Grund für ihre Wahlentscheidung zu Gunsten der CDU/CSU an.

Mehr als 60 Prozent der AfD-Wähler erklären sich gar nicht als überzeugt von der AfD. Sie haben vor allem aus Enttäuschung die AfD gewählt. Auch bei den Linken liegt das Protest- und Frustpotential noch bei knapp 40 Prozent und selbst bei der FDP sagt knapp ein Drittel der Wähler, sie hätten die Liberalen aus Enttäuschung gegenüber anderen Parteien gewählt.

So wenig überzeugt von „ihrer Partei“ sich immer mehr Wählerinnen und Wähler zeigen, so kurzfristig entscheiden sie sich für eine Partei ihrer Wahl. Bei allen Parteien entscheiden sich mehr als zehn Prozent erst am Wahltag, bei FDP, Grünen, Linken und der SPD rund 60 Prozent in den letzten Wochen vor der Wahl.

Nicht nur die CSU Haimhausen lag gründlich daneben

Für Wahlkämpfer bedeutet dies, dass die letzten Tage vor der Wahl enorm wichtig sind und dass frühen Umfragen kaum mehr zu trauen ist. Die CSU hat dies ja bitter erfahren müssen: nur drei Tage vor der Bundestagswahl prognostizierte die CSU Haimhausen noch auf ihrer Internetseite ein Ergebnis von 47 Prozent für der CSU in Bayern.

CSU Haimhausen

Drei Tage später waren dann davon nur 38,8 Prozent übrig!

Was halten die Wähler von der SPD?

Die große Wechselbereitschaft der Wähler bedeutet auch für die SPD, dass bei falscher Politik noch weitere Wähler verloren gehen werden. Der Bodensatz ist noch nicht erreicht. Das es nicht mehr schlimmer kommen könne ist leider nicht ausgemacht. Soll es nicht weiter bergab gehen, so müssen die Menschen wieder von den Leistungen der SPD überzeugt werden.

  • Nur 18 Prozent der Wähler finden, dass sie in den vergangenen Jahren von der Politik der SPD profitiert hätten. Selbst unter den SPD-Wählern glauben nur 44 Prozent, sie hätten einen Nutzen aus der SPD-Politik gezogen.
  • Jeder dritte SPD-Wähler findet, die SPD habe keine sozialdemokratischen Positionen in der Großen Koalition durchgesetzt.
  • 58 Prozent der Wähler finden „Die SPD setzt sich nicht mehr genug für die Schwachen ein“
  • 74 Prozent finden „Der SPD fehlt ein zentrales Thema, mit dem sie die Menschen begeistern kann“
  • 80 Prozent finden „Die SPD sagt nicht genau, was sie für soziale Gerechtigkeit tun will“

Was sagen uns diese Zahlen? Das Hauptproblem ist nicht, dass die SPD ihr Image als soziale Partei verloren hätte. Das Hauptproblem ist, dass es ihr nicht mehr gelingt, ihre Erfolge zu verkaufen. Nicht einmal ihre Mitglieder erkennen Erfolge wie „Mindestlohn“, „Rente mit 63“ oder „Verdreifachung der Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau“ – alles Errungenschaften der letzten GroKo, durchgesetzt von SPD-Ministerinnen und -Ministern.

Die Wahlniederlage der SPD 2017 resultiert vor allen Dingen aus einer völlig missglückten Kommunikationsarbeit der Partei. Dies gilt sowohl für die Öffentlichkeitsarbeit, als auch für die interne Kommunikation gegenüber den Parteimitgliedern.

Das „soziale Image“ der Partei war sicherlich auch schon mal stärker, es ist aber während der Großen Koalition kaum gesunken. Das große Glaubwürdigkeitsdefizit ist schon in der Ära Schröder entstanden. Schon 2005 hatten wir das Image die wichtigste Partei für soziale Gerechtigkeit zu sein, bei vielen verspielt. Heute aber ist noch nicht einmal die Linke in der Lage sich als „bessere SPD“ – als USPD im historischen Sinne – zu verkaufen. Anders formuliert: nicht die GroKo hat uns langfristig geschadet, sondern die Agenda 2010!

Die SPD muss wieder Visionen entwickeln, Themen machen und konkrete Alternativen formulieren

Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik wurden als wahlentscheidende Themen zunehmend vom Thema Asyl, Ausländer und Integration verdrängt.

Beim Thema Ausländer und Flüchtlinge können wir als SPD aber nichts gewinnen. Wir können und müssen klare Aussagen zu diesem Thema treffen – klarer, als dies geschehen ist. Wer aber hier ein besonders liberales oder radikales Vorgehen wünscht, der wird von anderen Parteien besser bedient. Man muss der SPD zutrauen, die Herausforderungen der Integration und des Zuzugs-Management zu beherrschen – mehr können wir nicht erreichen.

Eine Polarisierung zu Gunsten der SPD können wir nicht durch das Aufgreifen der Asyl-Diskussion erreichen, sondern durch das „Machen“ von Themen im Wahlkampf. Erinnert sich jemand an die Fernseh-Disput zwischen Merkel und Schulz? Diese Sendung verlief, wie der gesamte Wahlkampf: Das Thema Asyl wurde von anderen aufgesetzt und dominiert die gesamte Sendung. Schulz hat sich diesem Themen-Diktat gefügt, anstatt dass er einmal auf den Tisch geschlagen hätte um zu sagen „Nein – meine knappe Redezeit ist mir zu wertvoll, um sie komplett in dieses eine Thema zu investieren!“ Niemand konnte Schulz vorschreiben zwei Dittel seiner Zeit mit einem Thema zu vergeuden. Niemand kann der SPD vorschreiben, sich nur auf das vermeintlich große Thema zu konzentrieren. Wir haben es in der Hand andere Themen durchzusetzen.

Diese Themen müssen sich aus der Vision einer besseren Gesellschaft speisen. „Mehr Demokratie wagen“ – das war eine solche Vision, die die Politik der SPD über den Tag und den Wahlkampf hinaus trug. Die SPD muss wieder zu einer Partei der positiven Zukunftsvisionen werden.

Und zu diesen Visionen und Themen müssen wir konkrete politische Forderungen entwickeln. es genügt nicht einfach zu postulieren, dass der kleine Mann aus Würselen für mehr soziale Gerechtigkeit ist. Die SPD muss klipp und klar sagen, welche politischen Maßnahmen sie durchsetzen will. Und dabei geht es nicht nur um Soziales, sondern um die Zukunft der Gesellschaft, also auch um Technologiepolitik, um Digitalisierung, um Umweltpolitik.

  • Die SPD muss ihr Kommunikationsproblem lösen.
  • Die SPD muss eigene Themen definieren und durchsetzen.
  • Die SPD muss das Thema „soziale Gerechtigkeit“ in eine moderne und zukunftsweisende Vision einer demokratischeren Gesellschaft integrieren.
  • Die SPD muss ihre Wahlversprechen konkret formulieren statt immer nur darauf zu achten auch nicht den letzten Wähler durch eine einzelne konkrete Forderung zu verschrecken.
  • Die SPD muss sich nicht zwischen „links“ und „rechts“ entscheiden, zwischen der Rückeroberung der Wähler von FDP und AfD oder Grünen und Linken.
  • Die SPD muss wieder vorne sein – auch wenn „vorne“, wie wir seit Erwin Pelzig wissen, „ziemlich weit weg“ ist. Für viele Sozialdemokraten mag vorne links sein, sich hierüber aber zu streiten bringt niemanden weiter.

 


Quellen: Für diese Wahlanalyse wurden u.a. Studien von infratest-dimap, des Bundeswahlleiters und der SPD Bayern herangezogen.

Die lokalen Ergebnisse der Bundestagswahl in Haimhausen und im Kreis Dachau haben wir in einem weiteren Beitrag vorgestellt. 

 

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