Unser Schulsystem gerät aus den Fugen

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Treffpunkt Landtag

Mit großem Engagement beteiligte sich Bürgermeister Michael Reindl (Mitte) auf dem Roten Sofa von Martin Güll (rechts) an der Diskussion. Ein Nachdenklicher Schulleiter Thomas Frey links.

Das schon legendäre Rote Sofa des Dachauer Landtagsabgeordneten Martin Güll stand am 10. November an einem ungewöhnlichen Ort – im Saal des Gasthauses Gschwendter in Eisenhofen, mitten im Landkreis Dachau. Und trotzdem war der Saal voll. Bürgermeister, Gemeinderäte, Schulleiter, Lehrkräfte, Eltern und interessierte Bürgerinnen und Bürger verfolgten mit großem Interesse und mit wohlwollender Zustimmung die jüngste Veranstaltung aus der Reihe Treffpunkt Landtag. Der SPD-Bildungsexperte und ehemalige Indersdorfer Schulleiter hatte auch ein provokantes Thema zur Sprache gebracht: Was tun, wenn Schülerzahlen zurückgehen und die Eltern ihre Kinder auf Biegen und Brechen in das Gymnasium oder mindestens in die Realschule schicken und keine Mittel und Wege scheuen, die Hauptschulen zu vermeiden. Das gleiche Schicksal, so viel steht für Güll fest, wird auch die Mittelschule ereilen. Sein Vorschlag: Gemeinschaftsschulen sollen das bestehende Schulsystem ergänzen.

Martin Güll hat dieses alternative Schulmodell in der SPD-Landtagsfraktion maßgeblich mitentwickelt. Er belegte ausführlich, warum dringend Handlungsbedarf besteht. „Wie die Kaninchen vor der Schlange starren wir auf das Bildungssystem und warten ab, bis es total aus den Fugen gerät.“ Eine Schulleiterin aus dem östlichen Landkreis ergänzte die schon dramatische Situation an vielen Grundschulen: „Fakt ist, das der Leidensdruck bei den Kindern wächst.“ Sie berichtete von einem weinenden Kind, das mit Selbstmord drohte, weil es den Übertritt ins Gymnasium trotz ständigen Lernens nicht schaffte. Darum seien echte Lösungen nötig. Die 70 Besucher im Saal zeigten sich erschüttert und bestätigten die immer unerträglich werdende Situation in der vierten Grundschulklasse. „Wir müssen auch aus diesem Grund unser Schulsystem weiterentwickeln, Das Aussortieren von Kindern mit neun oder zehn Jahren ist unverantwortlich“, bestätigte Martin Güll auch aus langjähriger Berufserfahrung. Aber die von ihm vorgeschlagene regionale Gemeinschaftsschule habe noch viel mehr Vorzüge: eine neue Lernkultur, den Grundsatz der individuellen Förderung mit speziell zugeschnittenen Lernplänen, gymnasiale Angebote wie Naturwissenschaften und zweite Fremdsprache, Realschulabschluss und direkter Übergang in eine gymnasial oder berufliche Oberstufe. „Diese Schule ist alles andere als ein Einheitsbrei oder beliebig wie uns der Dachauer CSU-Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath im Gleichklang mit seinem Parteifreund und Kultusminister Ludwig Spaenle unermüdlich erzählt.“ Vor allem für die Kommunen im Landkreis Dachau böte die Gemeinschaftsschule die Möglichkeit, für ihre Gemeindebürger vor Ort ein hochwertiges Bildungsangebot zu haben. Güll rechnete mit konkretem Zahlenmaterial vor, dass dies sowohl für Odelzhausen als auch für Erdweg und Altomünster möglich wäre. „Warum die Großgemeinde Karlsfeld von der Staatsregierung nicht einfordert, mit der Gemeinschaftsschule eine echte weiterführende Schule zu bekommen, ist mir ein Rätsel“, so der SPD-Bildungsexperte verwundert.

Gülls Gäste auf dem Roten Sofa zeigten für das Schulmodell großes Interesse. „Ich höre diese Alternative heute zum ersten Mal und finde sie sehr interessant. Dass die Mittelschule mit ihren Schulverbünden auf Dauer nicht erfolgreich ist, ja eigentlich sogar ein Etikettenschwindel ist, habe ich nie verschwiegen“, gab Erdwegs Bürgermeister Michael Reindl unumwunden zu. „Man muss das unbedingt weiter diskutieren.“ Ähnlich äußerte sich auch Vierkirchens Bürgermeister Heinz Eichinger: „Wir hätten schon vor fünf Jahren Alternativen erarbeiten müssen. Das Modell der Gemeinschaftsschule wird sich durchsetzen“, ist er überzeugt. Dem AWO-Chef Oskar Krahmer war wichtig, dass „endlich die Ganztagsschule bei allen Schulangeboten selbstverständlich wird“. Die Gemeinschaftsschule, konnte Martin Güll beruhigen, „ist eine qualitativ hochwertige Ganztagsschule“. Und die Kollegiatin Anja vom Indersdorfer Gymnasium bestätigte, wie wichtig auch für das Gymnasium ein Ganztagsschulkonzept sei: „Im G8 haben die Schüler eh schon den ganzen Tag Unterricht, aber mit einer Ganztagsschule hat das überhaupt nichts zu tun.“ Der zweite Sofagast Thomas Frey, Schulleiter der (Noch)Hauptschule Indersdorf, fand das Konzept der Gemeinschaftsschule „mehr als überfällig“. „Wir haben keine Wahl, wir müssen ganz anders denken. Denn die Eltern akzeptieren die Hauptschule nicht.“ Er habe ständig Rückläufer aus Gymnasien und Realschulen an seiner Schule. „Den M-Zug gibt es beispielsweise in Markt Indersdorf schon lange. An den Ausbildungsinhalten hat sich in der Mittelschule nichts verändert“, bestätigt auch Bürgermeister Reindl.

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